Samstag, 3. Juni 2017

Das Messermädchen aus Distrikt 10

Das Messermädchen aus Distrikt 10

2.Quartalschallenge

Mein Name ist Talina und ich gehöre zu Distrikt 10. Seit kurzer Zeit bin ich eine der 24 Tribute für die jährlichen Hungerspiele.
"Möge das Glück stets mit euch sein!" - Das ich nicht lache! Das Glück ist nie mit uns. Wir sind eine Attraktion für das Kapitol, nichts weiter als ihr Zeitvertreib. Unser Tod ist ihre Freude.




Meine Vater sagte einst, ich solle stark bleiben, keine Schwäche zeigen - sie würden mir das Fleisch vom Leibe reißen, wenn sie sehen, dass ich Angst empfinde. Mein Vater... ob ich ihn jemals wiedersehen werde? Ich vermisse seinen Duft nach Heu und Kräutern, seine raue Stimme die mich morgens weckt, wenn er mit mir noch etwas zu Essen fangen will.
Wenn er abends in der Küche saß und ein dürres Kaninchen zerlegte, konnte ich von hinten seine Muskeln dabei beobachten, wie sie sich im Rythmus mit dem schneidenden Hackebeil bewegten.

Werde ich ihn irgendwann wieder dabei beobachten können? Und vor allem, werde ich je wieder das Mädchen von damals sein? Werde ich noch ... Ich sein?

Ich schüttle meinen Kopf und meine langen, schwarzen Locken fallen mir ins Gesicht, bei dem Versuch, diese Gedanken zu verdrängen. "Greif zu, wenn du sie angeboten bekommst!", das waren seine letzten Worte. Der Friedenswächter bemerkte es nicht, doch ich wusste sofort, wovon Vater sprach. Dolche, er meinte die Dolche! In unserem Distrikt bin ich dafür bekannt.

Und das ist meine Fähigkeit, mein größtes Talent.
Der Dolch ist meine Waffe, mein Körper ist schnell wie ein Pfeil und zugleich wie ein Schild. Ich bin schnell - ich bin tödlich.
Ich bin das Messermädchen.


Das Lämpchen über der Tür blinkt, durch die Sprachanlage tönt eine Stimme, doch ich höre nicht hin. Ich weiß, dass mich nur noch ein Tribut von dieser Tür und den Spielemachern trennt.

Mein Vater war stets der Meinung, ein Mädchen müsse sich zu verteidigen wissen. Alles was ich kann und alles, was mich ausmacht, hat er mir beigebracht. Anfangs haben wir es mit vielen verschiedenen Waffen versucht, doch keine lag mir so richtig. Für den Bogen war ich zu klein, Schwert und Axt waren mir zu schwer. Doch die Dolche waren wie dafür gemacht, sich in meine kleinen Kinderhände zu schmiegen. Das kalte, glatte Metall fühlte sich richtig an auf meiner Haut, es gab mir ein Gefühl von Sicherheit, auch heute noch. Selbst an diesem schrecklichen Ort.

Die Lampe blinkt erneut. Meine Hände fangen zu schwitzen an und in meinem Nacken haben sich kleine Schweißperlen gebildet.
Es ist so weit. Ich werde den Wölfen des Kapitols zum Fraß vorgeworfen.

Der Raum ist groß, aber hell genug erleuchtet, um alles sehen zu können. Links von mir sind die Waffen aufgereiht, rechts sitzen auf einem erhöhten Podest die Spielemacher und noch ein paar andere Schaulustige aus dem Kapitol.
Sie sind alle hier um mich wie ein Vieh zu beobachten. 

Ich gehe direkt auf die Dolche zu, die ich unter den vielen Waffen entdeckt habe. Ich nehme vier von meinen geliebten Messern in die Hand. Vier Gegner sind geplant, das sollte reichen. Sofort überkommt mich dieses bekannte Gefühl, ein kribbeln in meinen Händen und in meinem Bauch. Auch wenn es nur wenige Tage her ist, seit ich es das letzte mal gespürt habe, es kommt mir wie eine Ewigkeit vor.

Ich bemerke, wie einer der Spielemacher belustigt zu mir herunter sieht, als würde er nicht glauben, dass ich mit den Dolchen in meiner Hand etwas bewirken könnte. Der wird sich noch wundern..
"Ich bin Talina, Distrikt 10" rufe ich laut und deutlich, alle Augen sind sofort auf mich gerichtet und meine Hände fangen wieder an zu schwitzen. Ich merke, wie meine Wangen von der Hitze eine leichte Röte annehmen.
Ich drehe mich ohne ein weiteres Wort um und betrete den Kampfraum.

Beruhige dich, du schaffst das, schließlich machst du das schon dein ganzes Leben lang. Du bist das Messermädchen.
Ich schließe die Augen und fühle die Dolche in meiner Hand. Die Anspannung fällt langsam von mir ab. Mein Kopf ist wie leer geräumt, alle Gedanken und Sorgen lösen sich in Luft auf. Ich konzentriere mich nur noch darauf, die Erscheinungen der Projektoren zu spüren und ihre Bewegungen auszumachen.  

Jetzt! Links von mir erhebt sich etwas. Mit immer noch geschlossenen Augen schieße ich einen meiner Dolche ab. Gleichzeitig rolle ich mich nach rechts, um dem eigentlich nicht existierenden Schwert auszuweichen. Ich öffne meine Augen und sehe, dass mein Dolch sein Ziel genau getroffen hat. Das Geräusch von Metall das auf dem Boden aufschlägt, nehme ich kaum wahr.
Hinter mir spüre ich die nächste Projektion, ich wirble herum und jage ihm den nächsten Dolch mitten in das linke Auge. Plötzlich spüre ich einen leichten Windzug und werde abermals von hinten angegriffen. Die Projektion versucht mir ein Messer in die Brust zu jagen und ich schaffe es im letzten Moment noch, ihm auszuweichen. Mit einem blitzschnellen Schritt stehe ich hinter dem Angreifer und durchschneide mit einer seidigen Bewegung seine Kehle.

Ich stehe da, atme leise ein und aus, beobachte meine Umgebung und bereite mich auf einen weiteren Kampf vor. Rechts von mir erscheint eine neue Projektion. Ich will gerade meinen dritten Dolch auf ihn loslassen, als ich ein weiteres Schemen erhasche. Zwei?! So war das nicht geplant, es dürften doch nur vier sein!


Ich habe keine Zeit um lange nachzudenken und reagiere schnell. Ich renne auf den ersten zu, bücke mich unter seinem Schwertschlag hinweg und fixiere die Wand neben ihm. Mit einem Fuß stoße ich mich an der Wand ab und in dem Moment, in dem ich in der Luft schwebe, lasse ich meinen Dolch fliegen.
Er durchbohrt die erste Projektion, fliegt direkt auf den zweiten Angreifer zu und trifft ihn mitten ins Herz.
So ein glatter Durchschuss wäre zwar bei echten Gegnern niemals möglich, aber trotzdem wäre Vater mächtig stolz auf mich.

Die Tür vor mir öffnet sich und ich trete wieder in den großen Raum vor das Podest. Ich habe es also geschafft. Wieder sieht der Spielemacher mich an, doch diesmal sieht er eher verängstigt als belustigt aus. Gut so! Aber ich sage kein Wort. Ich will einfach nur noch weg von hier, wieder nach Hause, zu meiner Familie. Zu meinem Vater.



Eine Geschichte für die 2.Quartalschallenge der Panem-Challenge!



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